Mittwoch, 28. November 2007

Die hysterische Republik

Über minutenaktuellen Journalismus reden heute bei den 8. Berliner Mediengesprächen der Evangelischen Medienakademie Matthias Müller von Blumencron (Spiegel Online), Andreas Wertz (Inforadio), Peter Limbourg (N24), Wilm Herlyn (dpa). Den etwas seltsamen Versuch, das bloggend zu begleiten, betreibt hier Mercedes Bunz (Tagesspiegel) vom Rand aus.

Worüber geredet wurde folgt nun - subjektiv wiedergegeben und um so mehr zur Diskussion und Ergänzung für alle offen.

8. Berliner Mediengespräche

Schnelligkeit, das war in der Evangelischen Medienakademie sehr schnell klar, ist heute ein wichtiges Thema im Journalismus. Wobei der Journalismus jetzt nicht der absolut Schuldige ist, meint mit einleitenden Worten der Direktor der evangelischen Akademie Dr. Rüdiger Sachau. Der Journalismus ist, sagt er, zugleich Treiber und Getriebener. Und die evangelische Kirche, die diese Veranstaltung organisiert, findet: Die Öffentlichkeit will über komplexe Sachverhalte aufgeklärt werden. Oder will sie doch lieber unterhalten werden? Ich bin mir da manchmal nicht so sicher. Wahrscheinlich beides. Warum auch nicht. Mal sehen.

Der erste Eindruck

schuhe

Vorne auf den dunkelroten Ledersesseln fünf Herren, zwei grauhaarig, einer braunhaarig und zwei blond. Fünf Institutionen: die Chefredaktion von N24 (Peter Limbourg), der Chefredakteur der Nachrichtenagentur dpa (Dr. Wilm Herlyn), der Direktor des Gemeinschaftswerkes der Evangelischen Publizistik (Jörg Bollmann), der Chefredakteur von Inforadio rbb (Andreas Wertz) und der Chefredakteur von Spiegel Online (Matthias Müller von Blumencron). Macht acht schwarze Schuhe, zwei braune, fünf Schlipse, eine dunkelblaue Weste und fünf Brillen.

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Knut und das Problem der unterhaltsamen Nachricht

Herr Bollmann eröffnet das Panel mit einem leichten Thema, das schwer wiegt, weil es stellvertretend für die Tendenz zu stehen scheint, dass leichte Nachrichten heute mehr Bedeutung haben als ernste. Also: Wie geht es Knut?, fragt er den rbb und der rbb mahnt an, dass es in der Tat ein großer Hype gewesen sei und stellt sich die Frage: Muss ein Bundesminister zu Knut gehen?

Auch N24 hat Knut live gesendet - hier hat man jedoch eine weniger abwertende Meinung vom Eisbär: Peter Limbourg steht dazu. Das seien schöne Bilder gewesen. Knut, der von seiner Mutter verlassene Eisbär aus Berlin, das sei eine Geschichte. Knut war eine sympathische kleine Hysterie. Ja, das war sie, da hat er recht. Auf jeden Fall für den Konsumenten, die haben auch beim Tagesspiegel Knut gerne geklickt und hat prompt ein eigenes Knut-Dossier bekommen.

Aber mal prinzipiell: Sind leichte, unterhaltsame Nachrichten, nur weil sie keinen politisch-dramatischen Impact haben, weniger ernst zu nehmen?

Was das dann genau war, die Sache mit Knut, will Moderator Jörg Bollmann auch weiter wissen: Ist das Informationsfernsehen oder ist das Unterhaltung? -- Ich bin nach dieser Frage am überlegen, ob man sich für eine Seite entscheiden muss. Waren Nachrichten nicht schon immer Unterhaltung?

Wie schnell muss eine Nachricht sein?

Die Runde wendet sich dem Thema des Panels zu "Schnelligkeit ist unser Geschäft". Man blickt auf die Geschichte: Früher war Radio das schnellste Medium - und deutet an, dass das Internet heute schneller sei. Das Inforadio widerspricht - nicht ganz zu unrecht. Andreas Wertz weißt darauf hin, dass auch das Internet seine Artikel erst aufschreiben muss, bevor es Sachen online stellen kann.

Aber Schnelligkeit, korrigiert Spiegel Online, ist es alleine eben nicht. Natürlich, sagt Matthias Müller von Blumencron, wollen die Leute aktuell informiert werden. Aber sie wollen eben auch nicht nur die blanke Nachricht, sie wollen sehr schnell eine Einschätzung haben. Und wer das am besten macht, selbst wenn es eine Stunde länger dauert, der gewinnt. Eine schöne Perspektive: Qualitätsjournalismus ist jedenfalls, wenn das stimmt, nicht in Gefahr.

Und dann erklärt Spiegel Online dem Publikum das Medium. Denn das Internet hat im Vergleich zum Fernsehen und zum Radio einen Vorteil: Wir müssen, sagt Matthias Müller von Blumencron, kein Programm machen. Wir müssen keine bewegte Bilder zeigen. Und: Wir haben kein festes Format, wir haben keine Deadlines. Das macht das Medium wahnsinnig scharf. -- Ja, das ist in der Tat ein Vorteil, weil journalistische Kapazitäten nicht einfach gebunden werden, den Kanal zu bedienen und auch keine Struktur, die notgedrungen umorganisiert werden muss und im Weg herum steht.

Die Nachrichtenagentur dpa hält mit Herr Herlyn gegen die Schnelligkeit ebenfalls einen anderen Wert hoch: Die richtige Nachricht, die wahrhaftige Nachricht. Denn nach wie vor ist es den Nachrichtenagenturen wichtig, verlässlich zu sein. Schnell sind sie sowieso - was bei der dpa meist wirklich wahrhaftig stimmt.

Der Drang der Öffentlich-Rechtlichen ins Internet

Dieser Drang ist natürlich auch ein Thema, ein kontroverses. Sehr deutliche Worte - Respekt - kommen hier von Peter Limbourg. Denn wenn die Öffentlich-Rechtlichen im Internet nicht mehr nur ihre Fernsehsendungen begleiten, sondern eigene Angebote erstellen, die den Angeboten aufs Haar gleichen, ist das natürlich ein Problem. Denn die Öffentlich-Rechtlichen finanzieren sich mit Gebührengeldern, während andere Sender, Verlage das gleiche selbst erwirtschaften müssen.

Was Peter Limbourg folgende Aussage machen lässt: "Das Engagement der Öffentlich-Rechtlichen im Internet ist nichts anderes, als dass mit Staatsknete marktwirtschaftlich tätige Menschen bei der Arbeit zu behindern." Die, sagt er, sollen da die Finger von lassen. Sei haben einen klaren Auftrag und mit dem sollen sie, betont er noch einmal, nicht Unternehmer bei der Arbeit behindern.

Moderator Jörg Bollmann fragt daraufhin investigativ bei der dpa nach. Wilm Herlyn weicht zunächst geschickt mit dem Verweis aus: Vom Standpunkt der dpa habe man selber noch kein Videoangebot. Und: Es sei nicht die Rolle der dpa, darüber zu richten. Doch Bollmann lässt nicht locker, fragt nach der Meinung von Wilm Herlyn und tatsächlich kommt noch eine Aussage: Er finde es bedenklich, wenn Material, das gebührenfinanziert erstellt worden ist, neue Märkte sucht, auf dem schon Wettbewerber sind. Und er gibt zu bedenken: Wenn Sie sich die Summen anschauen, die die Öffentlich-Rechtlichen in diese Felder stellen, da haben die privaten Schwierigkeiten, mit zu halten. Da müsste man mal mit drüber sprechen, ob das der richtige Verdrängungswettbewerb ist.

Auch Matthias Müller von Blumencron stimmt hier zu. Spiegel Online hat sich zwar überlegt, so konnte man neulich lesen, ob man nicht Material von den Öffentlich-Rechtlichen annehmen. Doch er fände die Offerte völlig unausgegoren. Die Urheberrechte sind ungeklärt. Man dürfe vor deren Material keine Werbung schalten - doch wer soll die Auslieferung von Videos an den User bezahlen? Das sei nämlich kostenintensiv, Spiegel Online plant derzeit für das kommende Jahr 600 000 Euro alleine an Auslieferungskosten. Nicht Produktion, nur Auslieferung. Oh.

Erregungswellen mit und ohne Eva Herman

Das Gespräch biegt auf das Thema der Hysterie ein, denn der Dachtitel der Veranstaltung heißt "Die hysterische Republik". Die dpa findet alles weniger hysterisch als es wahrscheinlich den Anschein hat, Wilm Herlyn weisst zurecht darauf hin, dass die Auflagen der Boulevardzeitungen fallen. Auch N24 ist dieser Meinung. Peter Limbourg gibt zu bedenken, dass in der Weimarer Republik die journalistische Hysterie weitaus schlimmer war. Heute werden, meint er Geschichten emotionaler im Fernsehen erzählt, doch nicht auf Grund von Panikmache, sondern weil wir alle das wollen. Wenn man in der Kirche ist, sagt Peter Limbourg, erscheint einem das da draußen vielleicht hysterisch. Das Publikum lacht. Nun mit Verlaub, sagt er der evangelischen Medienakademie - er sei auch Katholik.

Gut gemachte Texte, pflichtet Spiegel Online den beiden bei, nehmen einfach besser mit als eine dröge Nachrichtenmeldung. Vielleicht geht man mehr auf den Konsumenten zu, das ist aber nicht der Weltuntergang. Es sei auch so: Deutungsstücke werden bei Spiegel Online viel stärker gelesen als Nachrichten selbst. Wenn nichts Dramatisches passiert, geht der auf die Hintergrundstücke. Nachrichten sind bei Spiegel Online also vor allem der Teppich. Der Leser mag, so Matthias Müller von Blumencron, Kommentare, wie beim Economist, dem New Yorker oder bei Neon. Bestechend seien doch auch bei Print Magazinen jene, die sehr subjektiv herangehen und erklären.

Inforadio gibt zu, ab und an als reiner Nachrichtensender in der herausragenden Position zu sein, bei Irrsinn wie den um Eva Herman nicht mitmachen zu müssen. Die Debatte um Eva Herman zu melden, aber sich nicht minütlich darum kümmern zu müssen, das sei, so sagt Andreas Wertz, eine Luxusentscheidung. Das Thema interessiere den Hörer durchaus, aber es werde Inforadio auch nicht übel genommen, wenn es nicht breiter behandelt wird.

Worauf der Moderator Jörg Bollmann die Hysterie weiter beim Schopfe packt und Matthias Müller von Blumencron in Form von Spiegel-Online-Überschriften. Nachricht: Ein Kreuzfahrtschiff in der Arktis sinkt. Spiegel Online titelt: "Drama im Eis". Nun, meint Spiegel Online, das sei eben ein Drama und erklärt: Wer jemals in der Arktis war, weiss, wie kalt es da ist. Dort auf einem sinkenden Schiff zu sein, sei nun mal ein Drama.

Fazit

Im großen und ganzen waren die Herren auf dem Podium einer Meinung. Schön vor allem, dass keine verzweifelte Angst um den Qualitätsjournalismus hoch kam und Blogs, diesem überbewerteten Sündenbock, die Schuld dafür in die Schuhe geschoben wurde. Es sieht so aus: Dramen im Journalismus gibt es weniger über Nachrichten selbst oder bei der Qualität der Nachrichten, als vielmehr bei der Verteilung der digitalen Zukunft. Hier erzeugt die Technik eindeutig journalistische Unruhe. Übrigens wird dazu Kurt Beck auch augenblicklich seine Rede halten: "Rundfunk im Spannungsfeld zwischen Karlsruhe und Brüssel". Vielleicht demnächst auch hier herunterzuladen. Mal sehen.

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